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Studentendorf Schlachtensee Berlin Zehlendorf
Studentendorf Schlachtensee Berlin-Zehlendorf2006/2012
Veröffentlichung in: Peter Rumpf, Sanierung des Studentendorfes Berlin-Schlachtensee, Baumeister (B6), Heft 6 (2008), S. 86-91, sowie: Denkmalpflege der Moderne. Konzepte für ein junges Architekturerbe, Wüstenrot Stiftung (Hrsg.), Karl Krämer Verlag Stuttgart + Zürich 2011, S. 124-135.Sowie: Demokratie Sanieren, Bauwelt, Heft 35 (2012), 20-27.
…erst Abrißkandidat, nun Vorzeigeobjekt …
Das Studentendorf Schlachtensee wurde von 1956 bis 1964 von den Architekten Fehling, Gogel und Pfankuch (alle Scharoun Schüler) errichtet und 1977/78 von den Architekten Krämer, Pfennig, Sie-verts erweitert. Es ist seit 1991 als Denkmalbereich (Gesamtanlage) sowie als Gartendenkmal (Herr-mann Mattern) in die Denkmalliste des Landes Berlin eingetragen. Am 21.03.2006 erfolgte die Einstufung als Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).
1999 Veräußerungswunsch des Se-nates und Freiziehen des Dorfes wegen der „Nichtsanierungsfähig-keit“ der geschützten baulichen Strukturen. Widerstand durch die Studentische Selbstverwaltung, Proteste von Architekten, Histori-kern und Denkmalschützern. Bil-dung einer Initiative zur Rettung des Studentendorfes. Beabsichtig-ter Verkauf des Grundstückes unter Aufgabe des Denkmalschutzes an Investoren scheitert. 2002 Grün-dung einer Genossenschaft unter Führung von Prof. Hardt-Waltherr Hämer zum Erwerb des Studenten-dorfes. 2003 Kauf des Studenten-dorfes durch die Genossenschaft Studentendorf Schlachtensee eG. 2004 Übernahme der Verwaltung und Wiederbelebung des inzwi-schen fast leer gezogenen Dorfes durch Bezug durch neue Bewoh-ner. Bis 2006 leben wieder fast 600 Studenten im Dorf. 2006 Beginn der Sanierungsarbeiten. 2008 titelt die FAZ:…eben noch Abrißkandidat, nun Vorzeigeobjekt! :…erste Er-folge bei der denkmalgerechten energetischen Sanierung. 2010 Übernahme der sozial orientierten PUK Stiftung und Verpachtung an die Studentendorf Schlachtensee eG zur Deckung des Kaufpreises und der Sanierungskosten. Bis 2013 sind 6 Häuser saniert und es leben fast 900 Studenten im Dorf.
Städtebau/Raum
…Differenziertheit einer demokratisch organisierten Gesellschaft…
Die Gesamtanlage mit 28 Häusern stellt die Differenziertheit einer de-mokratisch organisierten Gesell-schaft zunächst durch kleinräum-liche Strukturen mit Gemein-schaftseinrichtungen in deren Mitte dar. Die Gemeinschaft zeigt sich nicht als monumentale Einheit, sondern als ein differenziertes individuelles Miteinander unter-schiedlicher Beteiligter. Die Anlage liegt inmitten einer Wohnbebauung und ist auf vielerlei Weise mit ihr verbunden. Die Freiflächen sind nicht verschlossen und stehen allen zur Verfügung. Die Baulichkeiten treten nach außen kaum hervor, sie ordnen sich der umgebenden Bebauung ein. Ein wesentliches Moment der Revitalisierung der Gesamtanlage war die Erhaltung aber auch Fortschreibung der frei-räumlichen Qualitäten im Sinne einer weniger repräsentativen, sondern eher nutzungsorientierten Umgang mit Freiflächen und Wege-führungen.
Soziokultureller und gesellschaftlicher Kontext
…hoher Symbolwert für die Nachkriegsgeschichte Berlins …
Der gesellschaftliche Anspruch der Anlage geht seit seiner Entstehung in den 50er Jahren über die bloße Wohnungsbereitstellung hinaus. Die Unterstützer und Förderer der baulichen Maßnahmen aus den USA hatten 1955 ausdrücklich einen Lernort gefordert, der die Einübung demokratischer Prozesse und demokratischen Handelns unterstützt. Das prozeßhafte Han-deln war bis zur Abrißbedrohung und darüber hinaus bei deren Überwindung bei Bewohnern und Öffentlichkeit Erfolgsgrund. Das Studentendorf ist ein Dokument der hochschul- und gesellschafts-politischen Zielsetzungen einer Campus-Universität und – neben der Amerika-Gedenkbibliothek und der Kongresshalle – als Träger frei-heitlicher und politischer Wertvor-stellungen von hohem Symbolwert für die Nachkriegsgeschichte Ber-lins wie auch der Freien Univer-sität. Das in Erinnerung bringen dieser Bedeutung war letztendlich ausschlaggebend für die Breite und den Erfolg der öffentlichen Mobili-sierung wie auch für das Umden-ken der Eigentümer im Sinne der Erhaltung des Studentendorfes 2003. Die Erhaltung und Pflege der Gesamtanlage gewährleistet den Bestand eines national wie inter-national frühesten Beispiele der Bauaufgabe Studentendorf und einer herausragende Leistung der Nachkriegsmoderne auch für nach-folgende Generationen. Die Idee einer weltweiten universitären Vernetzung war entscheidend für die Einordnung der FU als Eliteuni-versität, sie hatte zur Folge, das auch Wohnmöglichkeiten insbeson-dere für Studenten aus anderen Regionen der Welt an der FU bereit gestellt werden müssen. Die FU wurde zu einem der wichtigsten Förderer des Erneuerungsprozes-ses des Studentendorfes.
Gestaltungsaspekte
…kein Fenster sitzt über dem anderen …
Für das Umsetzen der Aufgabe „Demokratie bauen“ gab es 1955 keine Vorbilder. Lange bevor Adolf Arndt die Attribute: Offenheit, Transparenz, Individualität und Gliederung als Parameter des Bauens mit demokratischen An-sprüchen benannte, setzten Fehling, Gogel und Pfankuch mit dem Studentendorf das genannte demokratische Ideal baulich– räumlich um. Ein ausgeklügeltes Farbsystem gepaart mit variieren-den Fensterteilungen tragen zur Individuation der persönlichen Wohnumgebung, der Zimmer bei: Im Studentendorf gleicht kein Zimmer dem anderen, wie auch die Gesellschaft aus Individuen be-steht. Die Durchbildung der Fassa-den zeigt diese Individualität: kein Fenster sitzt über dem anderen, aber durch flächenbündiges An-setzen der Fenster wird alles wieder zu einem Ganzen zusam-mengefaßt! Die Gebäude sind offen und Teil des Ganzen in seiner natürlichen Umgebung. Die Farb-gebung im Inneren folgt dem Kon-zept. Es sind Farben aus der Natur: Grün, braun, oliv gepaart mit natür-lichen Baustoffen Ziegel und Holz. Material von Decken und Wänden werden übergangslos von außen nach innen geführt. Die hier sicht-bar gewordenen Gestaltwerte wa-ren bei Übernahme der Anlage durch die Genossenschaft längst verschüttet. Mehrjähriger Leer-stand und Verwahrlosung sowie 50 Jahre Überformungen führten zur Unkenntlichkeit und zum Abrißver-langen. Die energetische und denk-malverträgliche Sanierung des Dorfes hatte neben der Wiederher-stellung einer Wohnnutzung insbe-sondere die Sichtbarmachung der verloren gegangenen Gestaltmerk-male zum Ziel. Die Durchgängigkeit der Wandscheiben, die Sichtbezie-hungen im Inneren und die Erhal-tung der Proportionen, das Wieder-erleben der Farbigkeit waren trotz umfangreicher, aber nicht sicht-barer Eingriffe durch energetische Maßnahmen zu bewahren. Mit den sanierten Fassaden ist ein fast zeitgenössisches Erscheinungsbild zurückgerufen worden, das einer Architekturauffassung folgte, die im Gegensatz zu Teilen gegen-wärtiger Architektur Inhalt und Dar-stellung konsequent in Überein-kunft bringt.
Nutzungskonzept
….Förderung kommunikativer Raumelemente…
Den genannten Idealen entsprech-end sollen unterschiedlichen Wohn-angebote, insbesondere auch für einkommensschwache Studenten aus dem In-und Ausland angeboten werden. Unabdingbar ist dabei die Erhaltung und Förderung kommuni-kativer Raumelemente. Die Beibe-haltung der bewährten ursprüng-lichen, auf einen hohen Anteil an Gemeinschaftsflächen basierenden Grundrissstruktur gewährleistet, dass wesentliche räumliche Aspek-te aus der Entstehungszeit erhalten bleiben. Dazu erfolgt die Schaffung eines begrenzten Zusatzangebotes an anspruchsvolleren Wohnfor-men, aber Durchmischung aller Wohnformen in einem Haus zur Destigmatisierung von Nutzern und Gebäuden. Zahlreiche zusätzliche Service -und Dienstleistungen werden im Dorf angeboten. Die Erhaltung und Gewährleistung preiswerten Wohnraumes erfor-dert eine nachhaltige Verbesse-rung der betriebswirtschaftlichen Situation der Gesamtanlage. Hohe Betriebskosten aufgrund hoher Energieverluste gefährden die Vermietbarkeit und damit den Bestand. Notwendige Erhaltungs -und Modernisierungskosten kön-nen auf dem Wohnungsmarkt für Studenten nicht einfach durch Mieterhöhungen realisiert werden, sondern durch Senkung der Be-triebskosten vornehmlich durch Einsparungen im Energiebereich. Das Sanierungskonzept für die über 50 Jahre alten Gebäude sah deshalb ehrgeizige energetische Effizienzsteigerungen vor die unter den Bedingungen des Denkmal-schutzes zu realisieren waren. 2012 wurde das Objekt Klima-schutzpartner der IHK und ist in der Ausstellung „DenkMal energetisch, weniger ist mehr“ als „best practice“ bezeichnet worden.
Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern
….Erfolgsgeschichte wäre ohne netzartige Verflechtung nicht zustande gekommen…
Die Erfolgsgeschichte des Studen-tendorfes wäre ohne eine netz-werkartige Verflechtung von Be-troffenen, Interessierten, Mitstrei-tern und Unterstützern nicht zu-stande gekommen. Aus den Pro-testen der betroffenen Studenten und Bewohner nach Ankündigung der Abrissabsichten wurde eine stadtweite Initiative an der an führender Stelle Prof. Hardt-Waltherr-Hämer wirkte. Ihm gelang eine Mobilisierung wissenschaft-lichen Sachverstandes, der zu ei-nem Überdenken des Umganges mit der Nachkriegsmoderne, insbe-sondere des Studentendorfes führ-te. Aus der Initiative erfolgte die Gründung einer Genossenschaft, die als Käufer der Anlage auftrat. Mit der Übernahme des Dorfes durch die Genossenschaft war ein erster Schritt zu dessen Erhaltung getan. Unterstützung der Genos-senschaft geschah zu diesem Zeit-punkt wie auch später durch ehe-malige Bewohner, Denkmalschüt-zer, dem Landesdenkmalamt, dem Bezirksamt Zehlendorf, der Freien Universität und Stellen des Senates sowie dem Beauftragten für Kultur und Medien des Bundes (BKM).
In der zweiten Phase sollte bewie-sen werden, dass eine denkmalge-rechte Sanierung und ein wirt-schaftlicher Betrieb der Anlage möglich ist. Neben den bereits genannten Partnern tritt die TU Dresden, die den Sanierungspro-zess mit einem Demonstrations-projekt mit dem Titel „Denkmal und Energie –Technologien und Sys-teminnovationen zur Energiever-sorgung und –einsparung bei Bau-denkmalen“ anstößt und begleitet, hinzu. Als Partner für den finanziellen Rückhalt konnte eine sozial orientierte Schweizer Pensionsbank gewonnen werden, sowie die Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.
Fotos: Mila Hacke |